Wo ist das Afrikadurchquerungsautomobil?
Paul Graetz kam mit seinem Afrikadurchquerungsautomobil am Sonntag, 13.06.1909 mit RPD Admiral am Petersenkai in Hamburg an und ging mit dem Fahrzeug unverzüglich auf Vortrags- und Werbetournee.
Während viele Firmen und Nicht-Sponsoren sich ungefragt mit seiner letztendlichen Afrika-Durchquerung schmückten
musste Paul Graetz - zum Teil bereits aus Afrika heraus - Unterlassungsklagen veranlassen.
Im Vorwort zu seinem 1910 erschienenen Buch schreibt er deutlich: "Die aufdringliche Reklame, welche von Automobil- und Gummifabriken mit meiner Expedition gemacht worden ist und den Glauben in der Öffentlichkeit geweckt hat, dass meine Autofahrt ein Reklameunternehmen eines Industriewerks sei, hat mich veranlasst, die betreffenden Firmen in diesem Buch unerwähnt zu lassen."
Er habe seine Autofahrt durch Afrika als rein privates Unternehmen durchgeführt.
Wir erinnern uns: Einzig die englische Daily Mail - Zeitung hat ihm im Vorwege Berichtsrechte abgekauft, für alle anderen war es vor seinem Start, "als wolle er eine Reise zum Mond" unternehmen.
Selbst der Kaiser sagte bei der Vorstellung des Graetzmobils in Bad Homburger Kaiserpreisrennen am 13.06.1907 süffisant zu Graetz „Wenn Sie wirklich am anderen Ende Afrikas wieder herauskommen, mein lieber Graetz, dann schicken Sie mir eine Postkarte.“
Folgerichtig und verschmitzt schrieb er nach seiner Ankunft in Swakopmund eine Postkarte an die Berliner Vossische Zeitung
"Bin auf dem Mond angekommen, Paul Graetz"
In Deutschland angekommen, musste sich Graetz erst einmal eine Haftpflicht-Versicherung besorgen, denn am 03. Mai 1909 vollzog Kaiser Wilhelm auf Korfu das Automobil - Haftpflicht-Gesetz, das damit in Kraft trat.
Dafür veröffentlichte man auch schon mal ein falsches Ankunftdatum in Swakopmund in der Geschichte des Automobils von 1909.
Statt 01.05.1909 kam Graetz hier erst am 10. August 1909 an. Wo waren da die Faktenchecker?
Man sollte halt nicht alles glauben, was man so lesen kann.
Zu Beginn seiner Tournee durch deutsche Städte - hier zum Beispiel durch Nordrheinwestfalen in 1909 - stellte er sein Fahrzeug, zum Teil gegen Bezahlung, aus und fuhr von Vortragsort zu Vortragsort. Dabei gab es immer mal wieder "technische Friktionen".
Auch stieg die Anzahl der Autos, Lastwagen und Kraftfahrräder rasant auf den Straßen Deutschlands an.
In dem Innovationsfreundlichen Klima der Kaiserzeit waren Technikjahre wie Katzenjahre. Jedes Jahr zählte mal Sieben.
Kurzum, das Graetz-Fahrzeug hatte eher nur noch einen exotischen Charakter als das es noch ein praktisches Nutzfahrzeug war.
Andere Expeditionen
Neben der Graetzschen Afrikaquerung "passierten" ja nebenbei noch 1907 die Paris-Peking Tour
„Was heute noch bewiesen werden muss, ist, dass ein Mann, solange er im Besitz eines Autos ist, alles tun und sich überall hinbegeben kann. Gibt es jemanden, der diesen Sommer eine Fahrt per Automobil von Peking nach Paris unternehmen wird?“
Für das Rennen galten keinerlei Regeln, fest stand nur, dass derjenige, der mit seinem Kraftwagen als Erster Paris erreichte, als Preis eine Magnum-Flasche Mumm Champagner erhalten solle. Eine elitäre Veranstaltung von 5 Fahrzeugen.Sieger des Rennens wurde der italienische Fürst Scipione Borghese.
Das Originalfahrzeug wurde erhalten und kann heute in Turin im Museo Nazionale dell'Automobile besichtigt werden.
Diese Rally wurde nach ostasiatischem politischen Tauwetter im Jahre 1997 zum 90jährigen Jubiläum neu aufgelegt. Mit dabei war mit dem Funkenblitz von 1907 der Besitzer der Technikmuseen in Sinsheim und Speyer Hermann Layher und seinem Techniker Jörg Holzwarth. Das Fahrzeug ist heute im Technikmuseum Sinsheim ausgestellt.
Die Graetz-Tour mit dem Funkenblitz. Das wäre doch was!
Mittlerweile wurde die PP-Rally 9 x in unterschiedlichsten Fahrzeugen nachgefahren, z.B. 2013.
...oder die New York - Paris Weltumquerung von 1908, die durch zwei Zeitungen organsiert wurde.
Hier gab Oberleutnant Hans Koeppen auf einem Fahrzeug der Berliner Protos - Werke gas für den Kaiser.
Er gewann, die Amerikaner änderten die Regeln. Er wurde nur Zweiter.
In der Popkultur ist diese Fahrt in der Hollywoodkommödie "Das große Rennen um die Welt" mit Starbesetzung verewigt
Das Originalfahrzeug wurde erhalten und kann heute in München im Deutschen Museum -Verkehrszentrum besichtigt werden.
Hier die Reiseroute auf dem Globus. Der Globus wie das Fahrzeug wurden durch die Siemens-Schuckert Werke dem Deutschen Museum gestiftet.
Ein echter Weltreisender, der Weltfahrtwagen Protos. Das Graetzmobil hatte ja "nur" Afrika durchquert.
Fun Fact 1: der liebeskranke 1.Chauffeur von Paul Graetz - Caspar Neuberger - der bereits am siebten Expeditionstag das Graetzmobil mit heißem Motor in einen Fluss fuhr, um das gleiche Schiff zurück von Dar Es Salaam nach Deutschland zu bekommen, wie die (verheiratete) Löwenbändigerin des Zirkus Barnums, die er bereits auf der Überfahrt "gedatet" hat,
war der zweite Chauffeur von Oberleutnant Koeppen auf der Strecke Wladiwostok-Paris!
Fun Fact 2: Die gleiche Karosseriebaufirma in Berlin - Neuß - hat den Aufsatz für Oberleutnant Graetz und für Oberleutnant Koeppen hergestellt.
Nun begab es sich aber, dass Paul Graetz im Rahmen seiner Vortragstournee auch zum wiederholten Male in München war.
Er sammelte mittlerweile Gelder für seine nächste geplante Expedition "Mit dem Motorboot quer durch Afrika" ein.
Wobei es diesmal zahlreiche Sponsoren gab, die die Expedition finanzieren würden. Das Motorboot wird "Sarotti" heißen. Andere Sponsoren standen für unseren Barocken Genussmenschen Graetz Schlange: Dr.Oetker, Bahlsen Kekse, Füstenbrunn, Berkefeld Filter und auffallend viele Whiskey-Firmen.
Man stieg auf der Vortragstournee also nur in den besten Etablissement ab. In München im 4 Jahreszeiten-Hotel. Heute 4 Jahreszeiten Kempinski.
Hier weilte er bereits am Dienstag 16.11.1909 mit seinem Vortrag im großen Konzertsaal.
Und auch Anfang Mai 1910 auf Einladung von Oskar Graf Bopp von Oberstadt, dem Präsidenten des Bayerischen Automobil-Clubs, dem ältesten Deutschland. Graf Bopp stellte seinerzeit seinen für Afrikaexpeditionen nicht geeigneten Salonchauffeur Bruno Rabeler (Graetz´zweiter Chauffeuer) als Ersatzfahrer für Caspar Neuberger ab. Man blieb trotzdem freunschaftlich Verbunden von Graf zu Graetz.
Diesmal kamen Paul Graetz Gerüchte zu Ohren, dass das Deutsche Museum den Protos Wagen von 1908 angekauft hat, während er noch in Afrika herumfuhr. Flugs besuchte er die Automobilsammlung in Museum, aber der Protos war noch nicht da, er hing noch an einer Pariser Automobilausstellung fest. Er witterte jetzt eine zusätzliche Finanzspritze, indem er sein Fahrzeug verkaufen konnte, und schrieb diesen Brief an den Gründer und Leiter des Deutschen Museums Reichsrat Oskar von Miller.
Hier Oskar von Miller mit seiner Frau, die gerne Telefonhörer abnimmt.
Photo Deutsches Museum
Man quittierte sorgfältig den Empfang
und anwortete dann formell, dass man ja gar keinen Platz hat, man sich aber trotzdem freuen würde, wenn Paul Graetz dem Museum sein Afrikadurchquerungsautomobil schenken würde:
Das kannte Graetz nun schon, war er doch schon von seinem väterlichen Freund Graf Linden im März 1905 bei seiner Waissansu Sammlung für das Lindenmuseum in Stuttgart über den Tisch gezogen worden. Er wollte verkaufen, nicht verschenken.
Was aber hier für unsere Überschrift besondere Beachtung verdient:
Gaggenau
Graetz reist am 11. Mai bis 12. Mai 1910 nach Gaggenau, um sein Fahrzeug transportfertig nach Wien zu bekommen, um das Afrikadurchquerungsautomobil dem Kaiser Franz Joseph I vorzustellen:
Die Ausstellung, von der Graetz schreibt, war die Erste Internationale Jagd-Ausstellung Wien 1910 zur Feier der Vollendung des 80. Lebensjahres des „Allerhöchsten Jagdherren und Obersten Schirmherrn des Weidwerkes Kaiser Franz Joseph I.
Da Graetz seinerzeit das Afrikadurchquerungsautomobil in der Jagdzeitschrift St. Hubertus ausgeschrieben hat und dieser andere Kaiser auch gern wie ein Jäger aussieht, war Graetz sich einig, ihm vorgestellt zu werden.
Quelle: Wikipedia Franz_Joseph_I._in_Jagdkleidung_191_Hans_Makart_jun1870–1946.jpg
Allerdings gab es nie ein Photo oder irgendeine Presserveröffentlichung, dass Graetz zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in Wien aufgetaucht ist. Auch im Kompenium keinerlei Hinweis.
Wir halten als Echtpunkt fest:
Mitte Mai 1910 stand das Graetzmobil in Gaggenau im Benz-Werk
Paul Graetz war noch der Besitzer
Nach diesem Zeitraum habe ich keine Erwähnungen des Fahrzeugs mehr gefunden. Auch Graetz äußerte sich nie mehr dazu.
Ich gehe nicht davon aus, dass es zu einem "Scheunenfund" kommen wird. Es ist wahrscheinlich von Gaggenau zu einer Endverwertung gelangt. Die Abgabeunterlagen dazu sollten im Benz-Archiv zu finden sein.
Ich gehe davon aus, dass es von Benz-Gaggenau im Rahmen des ersten Weltkriege in einer Aktion Metallspende des Deutschen Volkes zu Krupp Kanonen entsorgt wurde.
Desgleichen geschah nachweislich mit den Druckstempeln der von Graetz privat angefertigten Zeppelin-Expediton nach Papua Neuguinea Reklamebriefmarken.
Hans-Otto Meissner war mein erster Recherchekontakt zu Paul Graetz. Als ich 1996/97 für die Gründung meiner Safari-Firma in Namibia war, sprachen mich 3 Südwester unabhängig voneinander darauf an, dass meine Biographie ja so ähnlich wäre wie die von Paul Graetz, dem Bwana Tucke-Tucke. Ich war fasziniert von diesem Namen und man drückte mir das Buch "Traumland Südwest" in die Hand, in dem ein Kapitel über Paul Graetz handelte.
Es war noch zu Lebzeiten von Graetz recherchiert und Hans-Otto Meissner hat ihn in seinem Haus Afrikaruh in Travemünde noch besucht. Die erste Auflage erschien allerdings kurz nach dem Tode von Paul Graetz. Mittlerweile ist dieses Buch mehrfach neu aufgelegt worden von verschiedenen Verlagen und ein echter Klassiker der Namibia-Literatur. Es ist günstig über ZVaB oder Booklooker Websiten zu beziehen.
Die Graetzsche Expedition wird auch in einem weiteren Buch von HOM mit einem Kapitel bedacht, im 1971 erschienenen Expedition ins Abenteuer - Männer erobern die Welt.
Ich habe seine Witwe noch kennenlernen können, und sie besstätigte, dass ihr Mann die Original Konstruktionsunterlagen vom Graetzmobil für seine Recherchen zu Paul Graetz in Stuttgart / Gaggenau 1966 in den Händen hatte.
Als ich 1997 mit meinen Graetz Recherchen anfing, bekam ich die Auskunft vom Mercedes Benz Museum, das die Konstruktionsunterlagen unauffindbar sind.
Das hat sich bei meinem Besuch in 2002 in Gaggenau und Stuttgart noch nicht geändert gehabt.
Bwanas Graetzmobil 2002 am Wasserwerk der Fahrzeugfabrik (damals noch Unimog) in Gaggenau, exakt vor dem Gebäude, in dem mutmaßlich das Graetzmobil zusammengeschraubt wurde, und 60 Jahre später unser Unimog Baujahr 1967.
So, Mercedes, und jetzt kommst Du.
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